07.01.16

Erfolgsrezept Sherlock Holmes: Ein Detektiv für die Ewigkeit

Sherlock Holmes ist ein Medienphänomen par excellence, gerade abseits der Bücher. Die erste filmische Darstellung stammt aus dem Jahr 1903 und hört auf den Namen Sherlock Holmes Baffled. Dabei handelt es sich um einen Nickelodeon-Streifen, den man durch einen Guckkasten betrachtet. Vom Titel abgesehen hat dieser Mutoskop-Streifen aber nur wenig mit der Figur zu tun, die wir alle kennen und lieben. Aber: Seitdem verging kaum ein Jahr, in dem Sherlock Holmes nicht in mindestens einem Film oder einer Serie adaptiert wurde! Da Sherlock Holmes nicht der Jüngste ist, ergibt das eine Summe von mehr als zweihundert Filmen, knapp dreißig Serien und zahlreichen anderen Auftritten in Theatern, Hörspielen und sonstigen Medien.

Längst zählt Arthur Conan Doyles literarische Figur zur Allgemeinbildung, was man auch daran erkennt, dass es in anderen Medien vor Anspielungen auf den Meisterdetektiv geradezu wimmelt. In einer Folge der Zeichentrickserie Batman von 1967 etwa bittet Superintendent Watson aus dem fiktiven Londinium Batman und Robin um Hilfe. Auch beim rosaroten Panther gibt’s eine Folge namens Der rosarote Sherlock Holmes, in der Paulchen Detektivarbeit leistet. Und sogar Data löst in einer Star Trek-Folge einen Kriminalfall, nachdem er sich mit Sherlocks Fällen auseinandergesetzt hatte. Weitere Beispiele sind Magnum, My Little Pony, Garfield und diverse Disney-Geschichten.

Heute ist Sherlock Holmes nicht mehr nur eine Romanfigur. Er ist ein Synonym für alles, was mit Detektiven zu tun hat. Bei etlichen Serien und Filmen hätte man ohne Probleme einen eigenständigen Detektiv einführen können, betitelte das Ganze aber lieber mit Sherlock Holmes. Warum? Was hat Sherlock, das ihn so besonders macht? Wir gehen der Erfolgsgeschichte auf den Grund und schauen uns die drei bekanntesten Sherlock-Holmes-Darstellungen der letzten Jahre genauer an.

Das literarische Original: Der erste Forensiker

Bevor wir auf die Beispiele der Film- und Fernsehwelt eingehen, werfen wir einen Blick auf die Buchvorlage. Die Idee, Geschichten über einen rational arbeitenden Detektiv zu schreiben, kam dem Arzt Arthur Conan Doyle Ende des 19. Jahrhunderts. Literarisch gesehen fielen Sherlocks Geschichten in die Epoche des Naturalismus, wo die Welt so realitätsnah wie möglich beschrieben wird. Die Schreibweise der Romane lässt sich zwar eher dem Realismus zuordnen, aber Sherlock Holmes gilt eh nicht als perfektes “schulisches Beispiel”. Sei’s drum, Doyle setzte an einem Punkt an, der völlig neu war: Statt dem Zufall sollten genaue Beobachtung und Analyse zur Lösung der Fälle führen.

Er erschuf einen Detektiv, der genau erklärt, wie er einen Mörder ausfindig macht. Fast spannender ist aber, wenn sich bei der Aufklärungsarbeit ergibt, dass gar kein Verbrechen begangen wurde. Im Vordergrund steht ganz klar nicht das Ziel sondern der Weg dorthin. Und Sherlock Holmes ist perfekt geeignet, uns Leser mit auf diesen Weg zu nehmen. Denn der Meisterdetektiv zeichnet sich nicht nur durch seine intellektuelle Arbeitsweise aus, sondern auch durch sein Selbstbewusstsein und eine gewisse Eitelkeit. Letztere führt dazu, dass er seinem treuen Gehilfen Dr. Watson (und damit den Lesern) sämtliche seiner brillanten Geistessprünge offenbart.

Rein äußerlich wird Holmes als großer, schlanker Mann beschrieben, der besonders blass und markant bis „raubvogelhaft“ daherkommt. Er interessiert sich für zig Dinge, vom Studium der Chemie über das Musizieren auf der Violine bis hin zur Bienenzucht. Finanziell abgesichert ist er auch, manchmal vergehen Wochen, in denen er sich nur seinen Hobbies widmet, ohne einen Auftrag anzunehmen. Was seine Familie angeht, lernt man nur Bruder Mycroft kennen, der als Politikberater in britischen Staatsdiensten steht. Aber Holmes hat auch dunkle Seiten: Er ist ein starker Raucher und nimmt bisweilen auch Kokain oder Morphium zu sich – Drogen, die damals noch legal erhältlich waren. Seit jedoch der Suchteffekt bekannt wurde, gelang es Kompagnon Watson, den Detektiv allmählich von seiner Sucht abzubringen. Ein weiteres düsteres Merkmal ist Sherlocks Tendenz, das Gesetz zu brechen, wenn dies mit seinem eigenen Moralempfinden im Einklang steht. So stiftet er schon mal einen ablenkenden Brand oder lässt eine Mörderin aus Verständnis entkommen. Die Faszination an Sherlock Holmes lässt sich also möglicherweise durch seine Vielschichtigkeit erklären: Während er in jedes noch so dunkle Rätsel Licht bringt, bleibt er selbst weitgehend rätselhaft.

Der kommerzielle Erfolg der Detektivgeschichten war übrigens so enorm, dass Arthur Conan Doyle vom Strand-Magazin, in denen sie gedruckt wurden, immer höhere Summen verlangen konnte. Als er seine Hauptfigur (vorübergehend) sterben ließ, war die Empörung groß. Über zwanzigtausend Leser kündigten ihr Magazinabo, zudem brachten viele ihre Trauer durch schwarze Schleifen und Krawatten zum Ausdruck. Oder sie schickten Doyle wütende Briefe. Ja, das Erfolgsrezept Sherlock Holmes war geboren. Und … ähm, gestorben. Und wieder geboren. Und wieder und wieder und wieder. Bis in die heutige Zeit.

Guy Ritchie: Popkornkino mit Action-Sherlock

Im Jahr 2009 steckte Regisseur Guy Ritchie Schauspieler Robert Downey Jr zwar nicht in den Iron-Suit, allerdings auch nicht in einen Inverness-Mantel mit Deerstalker-Hut. Mit geballten Fäusten und (manchmal) nacktem Oberkörper kämpfte sich ein Sherlock über die Kinoleinwand, der sich vor allem über seine körperliche Stärke definiert. Von der Romanvorlage weicht das nicht gänzlich ab, auch hier wird erwähnt, dass Sherlock die Kampfkunst Bartitsu beherrscht. Das Markenzeichen des Blockbuster ist die Inszenierung der Kämpfe: Hier bestimmt Sherlock in Zeitlupe einzelne Schläge, bevor der eigentliche Kampf beginnt. Eine Actionszene, die gleichzeitig den Intellekt des Detektiv in den Fokus stellt. Muss man nicht mögen, viele fanden die Idee aber gut, immerhin spielte der Film über 500 Millionen Dollar ein! Klar kann man bemängeln, dass der Film stark von der Vorlage abweicht; hier sei Sherlocks erotisches Techtelmechtel mit Ex-Freundin Irene Adler genannt. Alles in allem eine klischeebeladene aber durchaus unterhaltsame Kombination aus Abenteueraction und düsterem Krimi.

Erwähnenswerter ist beinahe die zwei Jahre spätere erschienene Fortsetzung Spiel im Schatten. Während Sherlock Holmes im ersten Teil hauptsächlich an einen Actionhelden erinnerte, wurde er nun zum tuntigen Kaspar. Schräge Vögel waren zu der Zeit in, siehe auch Jack Sparrow oder den The Dark Knight-Joker. Neben exotischen Verkleidungen – unter anderem als viktorianische Matrone – lieferte uns Robert Downey Jr. etliche derbe Anspielungen an eine “Bromance” mit seinem Kompagnon Watson. Da konnte es schon mal passieren, dass die beiden versehentlich in einer halbnackten Koitalstellung landen oder unser Meisterdetektiv mit riesigen phallusähnlichen Granaten kämpft. In welchen Punkten sich die beiden Filme von Ritchie auch unterscheiden, eines haben sie gemeinsam: Man inszenierte Sherlock Holmes als typischen Kino-Blockbuster. Das Endprodukt bietet wenig überraschend Unterhaltung aber auch Angriffsfläche, ob man das noch Sherlock Holmes nennen darf. Dem Erfolg tat das keinen Abbruch, auch der zweite Teil spielte über 500 Millionen Dollar ein. Bleibt die Frage, ob das auf den Markennamen Holmes oder das Charisma von Robert Downey Jr zurückzuführen ist.

Benedict Cumberbatch: Everybody’s Darling

Ein Jahr nach “Prügelsherlock” schenkte die BBC der Welt etwas ganz Besonderes: Sherlock Holmes im 21. Jahrhundert, gespielt von Benedict Cumberbatch. Das Besondere an der Serie ist aber gar nicht das moderne Setting, diese Idee wurde schon häufiger umgesetzt. Dennoch schlug dieser Consulting Detective ein wie eine Bombe! Innerhalb kürzester Zeit wurden die Episoden von über 7 Millionen Zuschauern verfolgt und kein Sherlock besitzt einen so intensiven Fankreis wie Cumberbatchs Sherlock. Seine Fans nennen sich mit einem gewissen Stolz gar “Cumberbitches”.

Eine Erklärung für den Erfolg ist die gelungene Kombination aus literarischer Vorlage und Anknüpfung an unsere gewohnte Gesellschaft. Benedict Cumberbatch spielt Sherlock Holmes auf die Weise, wie Arthur Conan Doyle ihn einst beschrieb: Exzentrisch, arrogant, asexuell und so was von genial. Scheinbar ein Pool an Merkmalen, zu dem sich viele Menschen hingezogen fühlen. Umso schillernder wirkt die Persönlichkeitszeichnung, wenn man ihr ein Handy in die Hand drückt und sie zusätzlich mit Problemen aus dem Alltag konfrontiert. Trotzdem handelt es sich beim Protagonisten um pure Exotik, die schrullige Figur, die sämtliche Langeweile beiseite schiebt.

Ein weiterer Punkt ist die Liebe zum Detail. Es ist offensichtlich, dass die Drehbuchautoren Doyle tatsächlich gelesen haben und sämtliche Abenteuer und Figuren auf liebevolle Weise in den Serienverlauf integrieren. Auffällig ist auch das Fandom, das gehegt und gepflegt wird: So existieren Sherlocks fiktive Website The Science of Deduction oder Molly Hoopers Online-Tagebuch auch in der echten Welt. Am beliebtesten ist aber ohne Frage John Watsons häufig erwähnter Blog. Es macht einfach Laune, die fiktiven Kommentare der Serien-Figuren zu lesen. Außerdem hilft das, die nervig langen Wartezeiten bis zur nächsten Staffel zu überbrücken. Was es auch ist, das uns an dem Detektiv der Baker Street so fasziniert, die Serie Sherlock hat es.

Elementary: Der Ex-Junkie und seine „Yoko Ono“

Zwei Jahre nachdem Cumberbatch die Studie in Pink löste, kam eine weitere Sherlock-Serie auf den Markt: Elementary. Da der amerikanische Sender CBS bei der Ankündigung nur von einer “modernisierten Sherlock Holmes-Serie” sprach, klingelten bei BBC alle Alarmglocken. Produzentin Sue Vertue drohte schon mit rechtlichen Schritten, die Reaktion ihres Ehemannes Stephen Moffat war ein humorvoller Tweet: “Dear CBS. A modern day Sherlock Holmes? Where, oh where, did you get THAT idea? Weʾll be watching!”

Tatsächlich aber lassen sich beide Serien nur schwer vergleichen. Der von Jonny Lee Miller dargestellte Sherlock Holmes arbeitet zwar ebenfalls als freier Berater für Scotland Yard, wurde aber aufgrund seiner Drogenprobleme von seinem Vater in eine Entzugsklinik nach New York geschickt. Überhaupt ist die Drogenvergangenheit des Detektivs ein zentrales Element der Serie. Die von Lucy Liu gespielte Dr. Watson ist in dieser Story eine ehemalige Chirurgin, die als Betreuerin von Fall zu Fall hinter Sherlock herdackelt und ihn quasi überwacht. Trotz ihres Geschlechts gibt es seltsamerweise kaum ein Sherlock/Watson-Paar, das so unpersönlich miteinander umgeht wie diese beiden, zumindest was die ersten Staffeln betrifft.

Heruntergerissen ist Elementary eine solide Krimi-Serie, in der jede Folge ein eigenes Verbrechen bereithält, das von der Polizei und Sherlock Holmes aufgeklärt werden muss. Die eigentlichen Fälle haben aber nichts beziehungsweise nur wenig mit Arthur Conan Doyles Büchern zu tun, abgesehen von kleineren Anspielungen wie Sherlocks Interesse für die Bienenzucht. Viele Kritiker fragen, warum die Serie unter dem Label Sherlock Holmes läuft, dabei ist die Antwort allzu offensichtlich: Der Name unseres Detektivs ist ein Erfolgsgarant, die Menschheit liebt Sherlock Holmes einfach! Wer sich aber eine Scheibe Kuchen von diesem Konstrukt abschneidet, muss damit rechnen, dass dieses Stück immer mit dem restlichen Kuchen verglichen wird. Und diesen Kuchen gibt es bereits seit dem Jahr 1887.

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