21.10.16

Disney-Prinzessinnen: Frauenbilder für jede Generation

Die bunte Märchenwelt von Disney gibt es jetzt schon fast hundert Jahre. Irgendwas muss die Walt Disney Company also richtig machen, immerhin ist sie aktuell der drittgrößte Medien- und Unterhaltungskonzern der Welt. Milliarden Leute auf der ganzen Welt lieben Mickey Mouse und seine Freunde seit ihrer frühesten Kindheit und weit darüber hinaus. Wir wollen aber nicht unter den Teppich kehren, dass die kindliche Traumfabrik mit der Zeit einiges an Kritik und Vorwürfen einstecken musste. Rassismus und Sexismus werden dabei gerne in den Raum geworfen. So dauerte es zum Beispiel zweiundsiebzig (!) Jahre, bis der Entertainment-Gigant einen Trickfilm mit einer afroamerikanischen Prinzessin auf den Markt brachte. Whitewashing, altbackene Beziehungsmodelle und Geschlechterstereotype sind immer beliebte Themen, sobald ein neuer Disney-Film angekündigt wird.

Eins wird bei dem ganzen Geschimpfe jedoch gerne übersehen: Auch wenn vieles in der magischen Welt von Prinzen und Prinzessinnen langsam verläuft, eine Entwicklung lässt sich klar erkennen. Gerade wenn man einen Blick auf das Frauenbild wirft. Dem Zeitgeist entsprechend schien es für die ersten Disney-Damen nichts Schöneres zu geben, als den Haushalt zu führen und den Mann ihrer Träume zu finden. Doch mit einer real zunehmenden Emanzipation wurde von den Prinzessinnen mehr Stärke erwartet. Inzwischen befinden wir uns in einer Welt, in der es immer weniger darum geht, explizit weibliche oder männliche Attribute zu personifizieren. Grenzen verschwimmen zunehmend, Persönlichkeit tritt an die Stelle von angepassten Rollenmodellen. Zusätzlich wird sowohl von Frauen als auch von Männern in unserer Gesellschaft immer mehr erwartet. Das spiegelt sich auch in den neuesten Disney-Filmen wieder.

Um den Lauf der Veränderung zu verdeutlichen, haben wir für jede Generation drei Frauen herausgepickt, deren Charaktere ein klares Echo der jeweiligen Epoche ergeben. Damit das Ganze plastischer zu erkennen ist, sind unsere Beispiele die ausgewachsenen menschlichen Frauen; Kinder und personifizierte Tiere lassen wir außen vor. Hier ist sie also: die Entwicklung der Disney-Prinzessinnen im Rahmen ihrer Generation.

Schneewittchen, Cinderella und Dornröschen: Die gehorsamen Heimchen

Unsere erste Disney-Prinzessin ist Schneewittchen, der gleichnamige Trickfilm aus dem Jahr 1937 ist übrigens der erste abendfüllende Zeichentrickfilm aus den Walt-Disney-Studios. Man kann sich vorstellen, was für einem Druck die damaligen Filmemacher ausgesetzt waren. Dieser Film musste einfach ein Erfolg werden. Und das wurde er. Passenderweise verkörpert Hauptfigur Schneewittchen die perfekte Frau ihrer Zeit. Denn in den 30er Jahren brachten idealerweise nur die Männer das Geld nach Hause, während die Frauen den Haushalt verwalteten. Die Rollenverteilung war dabei streng an das Geschlecht gebunden. Eine Frau war also für Heim und Familie zuständig. Feminine Anmut und sanfte Mütterlichkeit sollten dabei ihr Wesen ausmachen.

Werfen wir nun einen Blick auf unser Schneewittchen, stellen wir schnell fest, dass sie praktisch mit nichts anderem beschäftigt ist als mit Putzarbeit. Und das obwohl sie eine Prinzessin ist! Zu Beginn der Geschichte wird sie dazu von ihrer bösen Stiefmutter gezwungen, doch im Laufe der Handlung landet sie bei den sieben Zwergen und beginnt augenblicklich, deren gesamtes Haus blitzeblank zu schrubben, in der Meinung, diese dadurch für sich gewinnen zu können. Mit der Märchenvorlage hat das nichts zu tun, dort stibitzt sich die Prinzessin nämlich im Gegenteil etwas von dem Essen der Zwerge, statt für sie zu kochen.

Wir haben es also mit der perfekten Hausfrau zu tun, wobei auch ihre mütterlichen Qualitäten immer wieder durchschimmern. So zeigt sie etwa den Tieren, wie man richtig putzt und befiehlt den Zwergen, sich die Hände vor dem Essen zu waschen. Ihre Autorität ist aber durchgehend an das Heim gebunden. Parallel dazu ist sie unglaublich bescheiden und regelrecht arglos. Obwohl sie gerade erfahren hatte, dass ihre eigene Stiefmutter ihr den Tod wünscht, sorgt sie sich mehr um ein „armes Vögelchen“ und hält weiter an ihrem Optimismus fest. Eigene Probleme sind belanglos, solange man sich noch um andere kümmern kann. Als große Erlösung gilt der Mann, passend dazu singt Schneewittchen ein Lied à la „Kommt erst mein Prinz zu mir, wird alles gut“. Sie behält Recht. Nachdem sie alles schön sauber gemacht hat, wird sie am Ende von ihrem namenlosen Prinzen gerettet.

Schneewittchen

Meine Stiefmutter wollte mich ermorden lassen? Egal, dieses Haus gehört geputzt! (Copyright: Disney)

Ähnlich wie Schneewittchen ist auch Cinderella als Tochter aus gutem Hause zur Dienstmagd verdammt. Sie putzt, kocht und wäscht für ihre bösartige Stiefmutter und deren garstige Töchter. Auch glaubt sie weiterhin an das Gute in anderen Personen, indem sie beispielsweise betont, dass selbst Kater Luzifer manchmal brav sein kann. Dieser Trickfilm erschien im Jahr 1950, Frauen gehörten nach gängiger Meinung immer noch an den Herd. Es war jedoch eine klare Verpflichtung, kein Lebenstraum. Selbst wenn die Medien ständig die perfekte Hausfrau propagierten, so fühlten diese sich doch eher gelangweilt und sehnten sich nach etwas, das auch den Geist anregt.

Im Gegensatz zu Schneewittchen zeigt Cinderella sich offenkundig genervt von der angeheirateten Familie ihres Vaters und hofft in ihren Träumen und Liedern permanent auf bessere Zeiten. Als die gute Fee ihr einen Besuch zum Ball ermöglicht, ist Cinderella jedoch erst mal wunschlos glücklich. Auffällig ist hierbei ihr Fokus auf das eigene Kleid. Insgesamt nimmt diese Noch-Nicht-Prinzessin sich wichtiger als unser erstes Beispiel Schneewittchen. Die Parallelen der schuftenden Hausfrau, deren Leben nur durch einen (männlichen) Prinzen gerettet werden kann, fallen jedoch drastisch ins Auge. Vergleichbar ist auch ihre Fürsorglichkeit gegenüber Tieren und schwächeren Wesen.

Cinderella

So lange man bei der Hausarbeit seine Schönheit nicht einbüßt, ist alles halb so schlimm! (Copyright: Disney)

Bei unserem dritten Beispiel der „Hausfrauen-Prinzessinnen“ handelt es sich um Dornröschen, deren gleichnamiger Zeichentrickfilm aus dem Jahr 1959 stammt. Auch dieses königliche Mädchen ist mit Putzen und dem Sammeln von Beeren beschäftigt. Ähnlich wie die anderen beiden hat sie das Leben eines Bauernmädchens einer bösen Hexe zu verdanken, wenn auch eher indirekt. Dieses Mal ist die Hausarbeit nämlich keine aus Neid geborene Bestrafung einer Stiefmutter, sondern dient als Schutz, um Prinzessin Aurora vor Malefiz zu verstecken. Folglich weiß Dornröschen nichts von ihrer Herkunft und hält sich für ein einfaches Mädchen. Ihre größte Sehnsucht äußert sich in dem fremden Mann, den sie zufällig im Wald kennen gelernt hat. Als sie anschließend erfährt, dass sie eigentlich eine Prinzessin ist und einen Prinzen heiraten muss, bricht für sie eine Welt zusammen. Sie fügt sich jedoch tränenreich ihrem Schicksal – und da wir es immer noch mit einem Disney-Film zu tun haben, stellt sich ihr Retter am Ende natürlich als derjenige Prinz heraus, in den sie sich bereits verliebt hatte.

Disney-Prinzessinnen dieser Zeit sind also zum Putzen verdammt, obwohl sie eigentlich aus adeligem Hause stammen. Sie bleiben jedoch fürsorglich und gehorsam. In ihren jeweiligen Prinzen verlieben sie sich rasend schnell, in gewisser Hinsicht ist der Traummann also nicht als eigenständige Person zu betrachten, sondern als finale Belohnung für das fleißige Heimchen. Die Frau putzt und wird am Ende vom Mann gerettet. Gute, alte Zeit!

Aurora (Dornröschchen)

Eine Frau bleibt in ihrem Haus! Ob das nun eine Bauernhütte oder ein Schloss ist. (Copyright: Disney)

Arielle, Belle und Jasmin: Die rebellischen Außenseiterinnen

Ende der 60er bis in die 90er Jahre hinein entwickelte sich in unserer Gesellschaft eine feministische Strömung, die als zweite Welle der Frauenbewegung bezeichnet wird. Es wurde zum einen die soziale Gleichstellung von Frau und Mann gefordert und zum anderen eine Art psychologischer Befreiungsprozess, der sich in der Selbstbestimmung der Frau wiederzufinden hatte. Eine Frau sollte demnach eigenständig entscheiden dürfen, wie sie ihr Leben gestalten möchte. Unsere nächsten Disney-Beispiele ziehen also einen Strich unter die fügsame Hausfrau.

Zum ersten wäre da Arielle, die sich im Trickfilm Arielle, die Meerjungfrau aus dem Jahr 1989 gleich als kleine Rebellin entpuppt. Das Erste, was man von ihr über Krabbe Sebastian erfährt, ist die Tatsache, dass sie nie zu den angesetzten Gesangsproben erscheint. Sie ist also eine Prinzessin, die nicht auf Gehorsam setzt, sondern ihren eigenen Vorstellungen folgt. Arielle hat das Gefühl, dass ihr Leben noch nicht begonnen hat und wünscht sich nichts sehnlicher, als ein Teil der Menschen zu sein. Im Laufe der Handlung lehnt sie sich gegen ihren Vater auf und geht einen Handel mit Meerhexe Ursula ein, um als Mensch Prinz Erik zu verführen, in den sie sich bereits verliebt hatte. Arielle ist ein Ausbund an Neugier und Mut. Trotzdem verzichtet sie für ihre Liebe zu Erik und den Menschen auf ihre eigene Stimme, die gewissermaßen ihr größtes Kapital darstellt. Die kleine Meerjungfrau fügt sich nicht in ihr Schicksal, sie gibt alles, um ihre Träume erfüllt zu sehen. Ein Großteil davon bezieht sich mal wieder auf die Liebe zu einem Prinzen. Im Vordergrund steht jedoch der Wunsch, jemand anderes zu sein. Und so lange dafür zu kämpfen, bis man das Ziel erreicht hat. Was mit Papas Hilfe geschieht. Aber das ist okay. Ihr eiserner Wille hätte wohl jeden überzeugt.

Arielle

Das Leben hat so viel mehr zu bieten als nur „Unter dem Meer“. (Copyright: Disney)

Damit geht es weiter zu Belle aus Die Schöne und das Biest von 1991. Wie Cinderella wird diese erst durch Heirat zur Prinzessin, das aber nur am Rande. Denn deutlich mehr Parallelen lassen sich zur Meerjungfrau finden. Genau wie Arielle fühlt auch Belle sich in ihrer Heimat nicht wirklich zugehörig. Sie liest gerne Bücher, während der Rest ihres Dorfes … sagen wir, eher simpel gestrickt ist. Dabei handelt ihr Lieblingsroman von fremden Ländern und Abenteuern. Wir haben es also erneut mit einer Frau zu tun, die sich nicht an ihr festgefahrenes Umfeld anpassen will. Auch sie weigert sich, das zu tun, was von ihr erwartet wird, wie zum Beispiel den Antrag von Dorfschönling Gaston anzunehmen.

Noch deutlicher zeigt sich ihr Mut, nachdem sie als Gefangene beim Biest bleibt, um ihren Vater zu befreien. Auch die Regeln des Biests werden von ihr nicht befolgt. Weder isst sie wie befohlen nur mit ihm, noch ignoriert sie den Westflügel. Zwar wird sie vom Biest, dem eigentlich verzauberten Prinzen, im Laufe der Handlung vor Wölfen gerettet, im Nachhinein pflegt sie jedoch nicht nur seine Wunden, sondern kann ihm im Streit auch Kontra geben. Belle ist eine Frau, die immer ihrer Neugier nachgibt und sich zu nichts zwingen lässt. Unter unseren Beispielen ist sie auch die erste Dame, die bei Männern nicht auf Aussehen sondern auf Persönlichkeit setzt. Und fast noch wichtiger: Erstmalig wird ein Mann von seinem Fluch durch die Liebe der Frau befreit und nicht umgekehrt!

Belle (Die Schöne und das Biest)

Wenn etwas nicht dazu passt, sorgt es zumindest für Gesprächsstoff. (Copyright: Disney)

Unser letztes Beispiel der rebellischen Disney-Frauen liefert der Film Aladdin aus dem Jahr 1992 mit Prinzessin Jasmin. Auch diese weigert sich, das gegebene Gesetz zu erfüllen, welches besagt, dass sie einen Prinzen heiraten muss. Sämtliche Bewerber werden von ihr vergrault. Wie das Meermädchen Arielle und das Dorfmädchen Belle sehnt auch Jasmin sich nach einem anderen Leben und möchte lieber die Welt sehen, als weiterhin im Palast eingesperrt zu sein. Sie versucht sogar heimlich zu fliehen, kehrt jedoch ungeplant zurück, um dem Straßenjungen Aladdin das Leben zu retten, der ihr ausnehmend gut gefällt. Insgesamt hat die orientalische Prinzessin eine starke Persönlichkeit und gerät regelrecht in Wut, wenn über sie gesprochen wird, als wäre sie ein Objekt. Am Ende ist es jedoch der Mann und zukünftige Prinz Aladdin, der sie aus einem riesigen Stundenglas befreit. Sie hat es also wohl eher ihm zu verdanken, dass ihr Vater gnädig gestimmt wird und sie am Ende heiraten lässt, wen sie selbst für würdig erachtet.

Insgesamt sind die Disney-Frauen dieser Generation Rebellinnen, die von der Welt mehr sehen wollen, als den Ort, in dem sie aufgewachsen sind. Sie wissen, was sie wollen, deshalb sind nicht die Männer selbst als ihr Geschenk zu betrachten, sondern diese geben ihnen das, was sie sich wünschen. (Ausflüge in die Menschenwelt, eine enorme Bibliothek, eine Reise in fremde Welten …) Nach wie vor brauchen diese Prinzessinnen noch den Mann per se, um gerettet zu werden und glücklich zu sein. Sie würden sich aber niemals in ein Schicksal ergeben, das ihnen missfällt.

Jasmin (Aladdin)

Das Gefühl von Freiheit kann glücklich machen, selbst wenn es eine Utopie ist. (Copyright: Disney)

Pocahontas, Esmeralda und Mulan: Die unbesiegbaren Einzelkämpferinnen

Die Zeit der End-Neunziger ist im Grunde genommen der Höhepunkt der zweiten Welle der Frauenbewegung. Vielen Frauen genügte es dementsprechend nicht, die gleichen Rechte wie die Männer zu erhalten, sie bemühten sich stattdessen, vollständig ohne das andere Geschlecht auszukommen. Alles, was tatsächlich und angeblich patriarchalischen Vorstellungen entsprungen war, sollte abgeschafft werden. Sich zum Beispiel in hübsche Kleidchen zu zwängen, nur um einem Mann zu gefallen, galt an vielen Ecken als verpönt. Statistisch gesehen ist es auch die Epoche, in der die meisten Frauen lieber an ihrem beruflichen Erfolg arbeiten wollten, statt daheim auf die Kinder aufzupassen. Was bedeutet das also für unsere üblicherweise romantischen Disney-Prinzessinnen?

Der Trickfilm Pocahontas aus dem Jahr 1995 schenkte uns eine Indianerprinzessin, die unsagbar mutig und komplett frei durchs Leben läuft. Oder um es in ihren eigenen Worten zu formulieren: Sie geht, wohin der Wind sie führt. Pocahontas hüpft von erschreckend hohen Klippen und betont immer wieder, dass es nicht ihre Sache ist, stetig zu werden. Für den „starken, beschützenden Mann“, den ihr Vater sich als Schwiegersohn wünscht, hat sie nur ein Stirnrunzeln übrig. Dafür gefällt ihr der freundliche, aufgeschlossene John Smith, der ihren Waschbär Meeko füttert. Beibringen darf oder kann er ihr nichts; allein der Versuch, sich über sie zu stellen, versetzt sie in rasende Wut. Stattdessen zeigt Pocahontas dem Engländer ihr Land und rettet ihm am Ende sogar das Leben. Von ihrer optischen Erscheinung abgesehen haben die beiden nach gewohnheitsmäßiger Sicht so ziemlich die Rollen vertauscht. Das Ende liefert uns dennoch eine Überraschung, die beinahe skandalös scheint. John Smith muss zurück in die Heimat, um verarztet zu werden. Und Pocahontas weigert sich, ihn zu begleiten! Während der Vater noch gnädig meint, sie müsse ihren eigenen Weg finden, beschließt die Indianerprinzessin, zu Hause zu bleiben, weil man sie hier braucht. Irgendwie keine zufriedenstellende Antwort. Also ging es nur darum zu zeigen, dass eine Disney-Prinzessin auch ohne Mann kann.

Pocahontas

Manche Frauen sind lieber oben. (Copyright: Disney)

Von der Indianerin zur Zigeunerin. Ein Jahr später veröffentlichte Disney den Zeichentrickfilm Der Glöckner von Notre Dame. Und gleich in ihrer ersten Szene beweist die weibliche Hauptdarstellerin Esmeralda, dass sie problemlos auf sich alleine aufpassen kann. Mit Hilfe ihrer Ziege triumphiert sie über zwei Männer der Stadtwache, die sie des Diebstahls bezichtigen. Aber es geht natürlich noch besser. Auf dem Fest der Narren erweist Esmeralda sich als die einzige, die Quasimodo vom Pranger befreit und schafft es infolgedessen, zehn Männern zu entkommen, die sie ergreifen sollen. Tatsächlich macht sie sich noch über diese lustig, à la „Ich arme Frau gegen euch starke Männer“. Das „Flucht als Entertainment“-Prinzip kannte man bisher eher vom anderen Geschlecht, siehe Aladdin. Erwähnenswert ist auch ihr anschließendes Duell mit Hauptmann Phoebus, bei welchem er sie mit einem Mann vergleicht. Was einst als Kompliment verstanden worden sein mag, läuft in dem gesellschaftlichen Kontext der 90er Jahre nun auf Provokation hinaus. Trotzdem verliebt sich Esmeralda in den gutmütigen Phoebus und rettet ihm im Laufe der Handlung zweimal das Leben. Bösewicht Frolo bietet sie stolz die Stirn und spuckt ihm nur ins Gesicht, nachdem er ihr anbietet, ihr Leben zu schonen, sollte sie sich für ihn entscheiden. Am Ende scheint sich das Liebespärchen Esmeralda und Phoebus nicht trennen zu wollen. Im Vordergrund steht dennoch nicht die Love Story, sondern die Freundschaft zu Quasimodo.

Esmeralda (Der Glöckner von Notre Dame)

Patriarchalismus ist out. Frauen stehen jetzt ihren Mann! (Copyright: Disney)

Es bleibt exotisch: Nach einer Indianerin und einer Zigeunerin bekommen wir es nun mit einer Chinesin zu tun. Der Film Mulan erschien im Jahr 1998 und beschäftigt sich noch deutlicher mit einer Frau, die in eine klassische Männerrolle schlüpft. Dieses Mal geht es nicht nur darum, dass sie besonders stark ist, sondern sie gibt sich tatsächlich als männlicher Soldat aus, um dadurch ihrem Vater das Leben zu retten. Eine wirklich angepasste Dame im Rahmen ihrer Gesellschaft war sie jedoch vorher schon nicht: Statt Eindruck bei einer Heiratsvermittlerin zu schinden, mischt sie sich lieber in Angelegenheiten ein, die offiziell nur den Männern vorbehalten sind. In ihrer Verkleidung missfällt es Mulan, angebliche Männerstereotype zu erfüllen, wie zum Beispiel in der Nase zu bohren oder Prügeleien anzufangen. Ihr Wille, kampftauglich zu werden, ist jedoch eisern und im Endeffekt stellt sich heraus, dass sie kriegsstrategisch gesehen dem Rest ihrer Truppe weit voraus ist. Durch Einsatz von Tricks gelingt es ihr, nicht nur ihre Freunde unter den Soldaten zu retten, sondern sogar ganz China. Kein Wunder also, dass sich auch der Kaiser vor ihr verneigt! Und natürlich hat sich auch Hauptmann Li Shang in sie verliebt, der jedoch einen Anstupser braucht, um ihr überhaupt zu folgen.

Selten gab es so starke fiktive Frauen wie in den Disney-Filmen Mitte der 90er Jahre. Diese Damen können nicht nur kämpfen, sie sind es auch, die ihre Prinzen retten und nicht umgekehrt. Apropos Prinzen: Prinzessinnen müssen sie eigentlich auch nicht mehr sein. Die Liebesgeschichten wurden zudem deutlich reduziert. Eine will ihren Mann am Ende gar nicht haben, die andere konzentriert sich mehr auf ihre neue Freundschaft und die dritte erhält noch nicht mal einen Kuss. Insgesamt steuern die Männer selbst nur wenig zum Verlauf der Handlung bei, man hätte sie fast schon streichen können. Aber Disney-Filme werden ja auch nicht nur für Frauen gemacht.

Mulan

Erst wenn „frau“ das ganze Land gerettet hat, bringt sie Ehre über das Haus. (Copyright: Disney)

Tiana, Rapunzel und Elsa: Die komplexen Powerfrauen

Kommen wir zur letzten Generation, die mit Abstand am kompliziertesten ist. Nachdem das Wunschbild der zahmen Hausfrau von dem der unabhängigen Kämpferin abgelöst wurde, steht die neue, moderne Frau nun ganz im Sinne der Omnipotenz. Das 21. Jahrhundert steckt voller Möglichkeiten, jedoch auch voller Erwartungen. Es gibt keine eingeschränkten Vorschriften mehr, was eine Frau tun darf und muss. Denn inzwischen muss sie alles sein. Ähnliches gilt natürlich auch für den Mann. Während vom einst starken Geschlecht nun verlangt wird, dass er sich auch am Haushalt beteiligt und offen seine Emotionen zum Ausdruck bringt, steht die Durchschnittsfrau nun in der Verpflichtung, Haushalt, Emotionen, Beruf und Kampfgeist perfekt zu meistern. Typisch männliche und weibliche Attribute werden nicht mehr auf die jeweiligen Geschlechter verteilt, sie dürfen und müssen von beiden eingesetzt werden.

Werfen wir einen Blick auf die Verfilmung Küss den Frosch aus dem Jahr 2009, so fällt es schwer, die weibliche Hauptfigur Tiana sofort in eine Schublade zu stecken. Eingeschränkt durch Armut und beseelt vom Wunsch ihres Vaters, ein Familienrestaurant zu eröffnen, arbeitet dieses Mädchen Tag und Nacht, um den Traum ihres Vaters wahr werden zu lassen, der inzwischen ihr eigener geworden ist. Tiana findet Frösche eklig, sie kann richtig gut kochen und liebt ihre Familie über alles. Klingt erst mal sehr klischeehaft nach einem Standardweibchen. Im Gegensatz zu den Rollenbildern der 50er Jahre wartet sie aber nicht auf den einen Märchenprinz, der ihr die Wünsche erfüllen soll, sondern arbeitet selbst daran. Der in einen Frosch verwandelte Prinz Naveen beeindruckt sie mit seiner lässigen Art erst mal gar nicht, stattdessen zwingt sie ihn zur Arbeit. Er wiederum zeigt ihr, dass das Leben auch Spaß machen kann. Es geht nicht mehr darum, wer den Ton angibt, sondern was man vom jeweils anderen lernen kann. Am Ende wird Tiana nicht nur zur Chefin des lang ersehnten Restaurants, sondern durch die Heirat mit Naveen auch eine Prinzessin. Es ist wieder angesagt, romantisch zu sein. So lange das Ganze nicht nur der oberflächliche Wunsch einer Frau bleibt.

Tiana (Küss den Frosch)

Manchmal wirkt man im Team überzeugender. (Copyright: Disney)

Ähnliches gilt für den Animationsfilm Rapunzel – Neu verföhnt, der ein Jahr später in den Kinos anlief. Dieses Disney-Mädchen kann ebenso wenig auf ein eindimensionales Stereotyp heruntergebrochen werden. Rapunzel verfolgt zig Interessen und Hobbies, sie putzt, sie malt, sie liest, sie bietet ihrer vorgeblichen Mutter die Stirn und knickt dann aus Liebe wieder ein. Zwar kann einiges erst auf die Langeweile durch die Gefangenschaft im Turm geschoben werden, doch zur passiven Ruhe kommt die Prinzessin auch nicht, als sie diesen mit achtzehn Jahren endlich verlässt. Im Gegenteil. Praktisch alle zwei Sekunden flippt sie aus vor Begeisterung oder fühlt sich vor Gewissensbissen hundeelend. Wenn es darum geht, sich vor der Welt zu behaupten, so ist es Rapunzel möglich, auf unterschiedlichste Wesenszüge zurückzugreifen. Sie kann sowohl einen Einbrecher mit einer Bratpfanne dingfest machen, als auch aus den ganz harten Kerlen den weichen Kern herauskitzeln. Das strenge Pferd Maximus bezwingt sie hingegen mit mütterlicher Autorität. Oder anders ausgedrückt: Rapunzel ist kreativ, gefühlsbetont, erstaunlich eigenständig und unerschütterlich, wenn es darum geht, das zu bekommen, was sie will. Auch sie erhält am Ende der Geschichte eine Hochzeit und die Gewissheit, Prinzessin zu sein. Genauso wie Tiana und Naveen mussten Rapunzel und Flynn Rider sich jedoch erst kennenlernen. Der männliche Part braucht inzwischen selbst zwingend Persönlichkeit und taucht nicht einfach aus dem Nichts als süßes Schmankerl auf.

Rapunzel

Frauen haben immer mehr Entscheidungen zu treffen. (Copyright: Disney)

Bei unserem letzten Beispiel handelt es sich um den animierten Film Die Eiskönigin – Völlig unverfroren aus dem Jahr 2013. Die Komplexität steigt. Immerhin haben wir es hier nicht nur mit einer einzigen Frau zu tun, sondern mit zweien, nämlich den Schwestern Elsa und Anna. Die jüngere Prinzessin Anna erfüllt das, was wir bereits kennen. Zum einen sprudelt sie vor Lebensfreude und stürzt sich naiv in romantische Träume, zum anderen ist sie mutig genug, um Schneebälle auf Ungeheuer zu werfen oder mit der Faust direkt in das Gesicht eines Schurken auszuholen. Man kann sie im Prinzip als unsere vielseitige Identifikationsfigur heranziehen.

Spannender ist jedoch das Unbekannte, die Eiskönigin Elsa. Durch ihre Fähigkeit, Eis und Schnee zu erzeugen, begibt sich diese Disney-Dame auf ein neues Level von Macht, das so noch nicht vorgekommen ist. Um niemanden unabsichtlich zu verletzen, unterdrückt und versteckt sie jahrelang ihre Kräfte. Elsa ist demnach genauso aufopferungsvoll wie gefährlich. Mit ihrer allgemein ängstlichen und vorsichtigen Art steht sie im Kontrast zu ihrer Schwester. Auf eine Lovestory ihrerseits wurde komplett verzichtet, was beinahe die größte Innovation darstellt. Denn nicht jede Frau wünscht sich unbedingt einen Prinzen an ihrer Seite, ob sie ihn nun braucht oder nicht. Tatsächlich kann man auch glücklich sein, wenn man sich seiner tot geglaubten Schwester wieder annähert. Oder mit sich selbst ins Reine kommt, nachdem man Jahre lang gelitten hat. Unsere Gesellschaft gibt uns nicht mehr nur einen einzigen Weg vor. Offensichtlich braucht Disney dafür zwei Figuren, um das auf den Punkt zu bringen.

Ja, die Welt und ihre soziologischen Vorstellungen sind im ständigen Wandel. Noch vor etwa siebzig Jahren galt die Frau in der Gesellschaft als perfekt, wenn sie die Rolle des sanftmütigen Heimchens annahm. Mit der Zeit boxte sich der Gedanke durch, dass sie vielmehr aktiv und wie ein Mann auftreten müsse. Inzwischen sind wir an dem Punkt, an dem die perfekte Frau beide klassischen Geschlechtsattribute erfüllt und jederzeit einsetzen kann. Frau und Mann sollen sich ebenbürtig sein. Und wie man anhand unserer Filmbeispiele sieht, ist dieser Wandel an Disney nicht unbemerkt vorüber gegangen.

Anna und Elsa (Frozen - Die Eiskönigin)

Nicht jede Frau erwartet das gleiche Schicksal. (Copyright: Disney)

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