07.08.15

Das Erfolgsgeheimnis für einen guten Film

Habt ihr euch schon mal gefragt, warum manche Filme eine Horde Fans gewinnen, andere jedoch als Mist und Geldverschwendung betitelt werden? Es spielt dabei kaum eine Rolle, ob es sich um eine Low-Budget-Produktion, eine artifizielle „Arthouse“-Ausnahme oder einen aufwändig inszenierten Blockbuster handelt. Der Streifen kann hochkarätig mit prominenten Schauspielern besetzt sein, neueste Animationstechniken enthalten und trotzdem ein Riesenflop werden. Woran liegt das? Was ist das Erfolgsgeheimnis für einen guten Film?

Im Jahr 1994 wurde der Kinofilm Der König der Löwen zum erfolgreichsten Disneyfilm aller Zeiten. Sämtliche Nachfolger der kommenden Jahre (Pocahontas, Der Glöckner von Notre Dame, Hercules) erwiesen sich im Vergleich als kommerzielle Flops. Es scheint fast, als hätten die Disney-Autoren keine Ahnung, was sie bei Der König der Löwen eigentlich richtig gemacht hatten. Zum Glück haben sich andere mit diesem Thema auseinandergesetzt und die Situation analysiert. Und in einem Punkt sind sich alle einig: Wer einen guten Film will, braucht eine gute Story. Bleibt noch die Frage: Wie muss diese im Film aufgebaut sein? Wir haben euch aus der Theorie ein paar wesentliche Meinungen zusammengetragen.

Aristoteles: Reinigung durch Mitleid und Furcht

Bereits im Jahr 335 vor Christus beschäftigte sich jemand mit der Frage, welche Bestandteile essentiell für eine gute Story sind: Aristoteles. In seinem Werk Poetik schildert er genauestens die Rezeptur für eine gelungene Tragödie. Die Behandlung der Komödie ist leider verloren gegangen (Rezipienten von Umberto Ecos Roman Die weiße Rose wissen, weshalb … hihi). Laut Aristoteles hängt eine gute Tragödie vor allem von der Handlung ab, daher sollte sie unbedingt auf diese Weise in Erscheinung treten:

Ein ethisch guter Charakter erlebt einen Umschlag vom Glück ins Unglück. Das passiert nicht, weil der Charakter etwas absichtlich falsch gemacht hat, sondern weil er aufgrund eines Irrtums beziehungsweise aus Unwissenheit einen Fehler begeht.

Haben wir es mit so einem Plot zu tun, rührt und schaudert es uns zugleich, da wir aus Mitleid mit dem Helden sympathisieren und uns damit identifizieren. Wir fürchten uns also automatisch davor, ein ähnliches Schicksal zu erleiden. Erfolgreiche Beispiele aus der Filmwelt: Katniss Everdeens ergreifende Trauerrede über die kleine Rue bringt einen alten Mann dazu, deren Melodie zu pfeifen. Um einen möglichen Aufstand zu verhindern, wird er jedoch von den Friedenswächtern erschossen (Die Tribute von Panem – Catching Fire). Luke Skywalker möchte seine Freunde retten, indem er den finsteren Darth Vader besiegt. Doch als er erfährt, dass es sich bei selbigem um seinen Vater handelt, scheitert die Aktion (Star Wars – Das Imperium schlägt zurück). Harry Potter bietet Cedric Diggory aus Gutmütigkeit an, gemeinsam den Siegespokal des Trimagischen Turniers zu holen und lässt den Mitschüler damit unwissentlich in die tödliche Falle Voldemorts laufen (Harry Potter und der Feuerkelch).

Neben den dramaturgischen Mitteln Mitleid und Furcht spricht Aristoteles auch von der Katharsis (Reinigung). Tatsächlich weiß heutzutage keiner mehr so genau, was damit eigentlich gemeint war. Ari Hiltunen, Autor des Buches Aristoteles in Hollywood, geht davon aus, dass sich der Begriff von der Medizin ableitet. Das bedeutet, dass das Publikum die Angst vor einer drohenden (fiktiven) Gefahr so intensiv miterlebt, dass die gleichen physiologischen Reaktionen ausgelöst werden, als wäre man selbst bedroht. Dieses Gefühl, etwas Schrecklichem gegenüber zu stehen und nichts dagegen tun zu können (da es fiktiv ist), löst einen Zustand unerträglicher Spannung aus. Wird man dann von dieser Angst befreit, kehrt lustvolle Entspannung in den Körper zurück. Das Vergnügen ist dabei umso größer, wenn man Zeuge wird, wie die moralische Gerechtigkeit wiederhergestellt wird. (Zum Beispiel indem sich Darth Vader seiner Fehler besinnt und stirbt.) Dieses körperliche Mitempfinden kann als Reinigung bezeichnet werden. Die Quintessenz: Hat man bei den Zuschauern eine Katharsis erreicht – und zwar durch den Plot, nicht durch die technische Umsetzung – stehen die Chancen gut, es mit einem erfolgreichen Film zu tun zu haben.

Christopher Vogler: Die Reise des Helden

Gute Kinogeschichten haben immer das selbe Erzählmuster. Das dachte sich jedenfalls Christopher Vogler und beschrieb in seinem Buch The Writerʾs Journey – Mythic Structure for Storytellers and Screenwriters ein Modell, das sich auf nahezu alle Hollywood-Filme übertragen lässt. Sein Konzept basiert auf Joseph Campbells Untersuchung über die Struktur von Sagen und Legenden. Dieser gewann die Erkenntnis, dass alle Erzählungen einem gleichen Muster folgen: Ein Held begibt sich auf eine Reise, die nach einem festen Schema abläuft.

  • Der gut konstruierte (Hollywood-) Film beginnt mit einer Einführung in die gewöhnliche Welt: Luke Skywalker langweilt sich als Bauernjunge auf dem öden Wüstenplaneten Tatooine (Star Wars – eine neue Hoffnung). Bilbo Beutlin macht es sich im Auenland gemütlich (Der Hobbit – eine unerwartete Reise)
  • Der zweite Abschnitt ist ein plötzlich auftretendes Problem: Der Held wird vor eine Herausforderung gestellt oder sieht sich einer Schwierigkeit gegenüber. Luke wird von Obi Wan Kenobi gebeten, Prinzessin Leia aus Darth Vaders Händen zu befreien. Gandalf erwartet von Bilbo, dass er den Zwergen hilft, ihre Heimat zurückzuerobern
  • Danach tritt die bekannte (etwas lästige) Weigerung des Helden ein. Der Held zögert und findet etliche Ausreden, warum er seine vertraute Welt nicht verlassen kann. Luke will seinen Onkel nicht im Stich lassen („Ich kann mich da nicht einfach einmischen. Außerdem hab ich meine Arbeit!“), Bilbo ist überzeugt davon, dass Hobbits keine Abenteurer sind
  • Nachdem sich der Held dann irgendwann besonnen hat (oder dazu gezwungen wurde, weil Onkel und Tante plötzlich tot sind), tritt die vierte Phase der Reise ein: Das Treffen mit dem Mentor. Dieses ist meist mit einem Geschenk oder der Ausstattung von Fähigkeiten verbunden, etwa das Lichtschwert, das Luke von Obi-Wan erhält. Auch Bilbo sammelt nach und nach entscheidende Attribute für seine Reise (Den Vertrag mit Zwergenanführer Thorin, ein Pony zum Reiten, das Schwert Stich …)
  • Jetzt kann endlich die Schwelle von der alten in die neue Welt überschritten werden. Der Held ist bereit und fähig, sich der Herausforderung zu stellen. In den meisten Filmen beginnt demnach die eigentliche Handlung, sobald das Training abgeschlossen ist.
  • Den sechsten Abschnitt bezeichnet Vogler als Prüfung, Verbündete und Feinde. Luke wird offizieller Gegner der imperialen Streitmacht und gewinnt die Unterstützung Han Solos. Bilbo erfährt zunehmend Respekt und Zuneigung bei den Zwergen
  • Es folgt die Annäherung an die innerste Höhle, die im Grunde genommen nichts anderes ist als ein Furcht erregender Ort in der anderen, unbekannten Welt. Während Luke den Todesstern betritt, hat es Bilbo mit einer tatsächlichen Höhle im Nebelgebirge zu tun
  • Der achte Abschnitt der Reise ist das große Martyrium. Die Helden leiden, die Zuschauer leiden mit ihnen. Luke und seine Freunde landen in einer Müllpresse und drohen zerquetscht zu werden, Bilbo hat es mit dem unheimlichen Wesen Gollum zu tun
  • Auf diese Extremerfahrung folgt erst mal eine Belohnung: Luke kann Leia retten, Bilbo kann Gollum entkommen und trägt von nun an den einen Ring mit sich
  • Nach dieser Ruhe vor dem Sturm kommt das extreme Martyrium, bei dem es um Leben und Tod geht oder einfach noch mal dem Ganzen eins drauf gesetzt wird. Luke überlebt im finalen Kampf gegen den Todesstern um Haaresbreite, Bilbo geradeso im Kampf gegen die Orks
  • Das letzte Stadium bildet Die Rückkehr mit dem Elixier, der Held kehrt zurück nach Hause und hat entweder einen Schatz oder neue Fähigkeiten gewonnen. Luke hat sich in der Rebellenallianz einen Namen gemacht und Prinzessin Leia verleiht ihm höchstpersönlich einen Orden für die Vernichtung des Todessterns. Bilbo hat sich endlich die Anerkennung von Anführer Thorin erworben 

Wenn man dieses Modell nicht zu streng angeht, lässt es sich tatsächlich auf sämtliche Filme übertragen. Hier die einzelnen Abschnitte noch mal in Kurzform:

Einführung in die gewöhnliche Welt → Herausforderung/Schwierigkeit → Weigerung des Helden → Treffen mit Mentor → Überschreiten der Schwelle → Prüfung, Verbündete und Feinde → Annäherung an die innerste Höhle → Das große Martyrium → Belohnung → Das
extreme Martyrium → Die Rückkehr mit dem Elixier

Syd Field: Akteinteilung nach Zeit und Figuren

Viele Bücher zum Thema „ein gutes Drehbuch schreiben“ stammen von Syd Field. Eine zentrale Bedeutung hat bei ihm die Struktur der Erzählung. Seine Unterteilung in drei Akte (Exposition, Confrontation, Resolution) deckt sich mit den meisten Rohfassungen unterschiedlicher Autoren. Anders ist bei Syd Field, dass er die Akte nicht über den Inhalt sondern die Dauer definiert. Das läuft darauf hinaus, dass der Anfang eines Filmes dem ersten Viertel entsprechen muss und der Schluss dem letzten Viertel. Der mittlere Teil sollte ca 60 Minuten einnehmen, zumindest wenn es sich um die typische Spielfilmlänge von ca 100 Minuten handelt. So normativ Syd Field die Aufteilung der zeitlichen Gliederung zwar festlegt, weist auch er auf Abweichungen hin. Ein entscheidendes Kriterium für das gelungene Drehbuch bleibt sie in seinen Augen dennoch.

Gehen wir noch einmal auf das Beispiel Der Hobbit – Eine unerwartete Reise zurück, so haben wir es mit einer Story von etwa 160 Minuten Spielfilmlänge zu tun. Sicherlich sind sich alle einig, dass der Anfang des Films vorbei ist, wenn Bilbo mit dem Vertrag wedelnd den Zwergen hinterherläuft. Zu diesem Zeitpunkt zählen wir aber schon knapp 40 Minuten! Der Schluss des Filmes setzt ungefähr beim kurzen Kampf gegen Azog und seine Orks ein, also erst nach 2 Stunden und 15 Minuten! Ob das für Syd Field als verzeihliche Abweichung durchgeht? In einer neueren Fassung hat Syd Field sein „Paradigma“ immerhin in zwei Hälften pro zwei Akte geteilt. Also wurden aus seinem dreigliedrigen Schema vier Einheiten, die alle je ein Viertel der Filmzeit betragen sollen. Beim Der Hobbit – Eine unerwartete Reise würde das erste Viertel bei Bilbos Sinneswandel enden. Der Schluss des zweiten Viertels wäre die Ankunft in Bruchtal, was auch Sinn macht. Beim Ende vom dritten Viertel beginnt das Rätselraten von Bilbo und Gollum — gar nicht mal so unlogisch von der Aufteilung. Aber ist das wirklich der Grund, warum Teil Eins vom Hobbit so erfolgreich war?

Natürlich ist die zeitliche Gliederung der Akteinteilung nicht das einzige Kriterium für ein gutes Drehbuch. Syd Field hat diesbezüglich noch etliche andere Tipps. Wir beschränken uns aber auf diesen hier: Ein guter Film braucht gute Figuren. Das denkt übrigens auch Aristoteles. Trotzdem sind beide Theoretiker der Ansicht, dass die Handlung vor der Figur steht und nicht andersherum. Und um nun eine gelungene Figur zu erschaffen, braucht es vier Wesensmerkmale: Dramatisches Ziel, Standpunkt, Veränderung und Haltung.

Das dramatische Ziel ist die Absicht der Figur. Nehmen wir das Filmbeispiel Tribute von Panem – The Hunger Games. Katniss Everdeens Ziel ist es, ihre Familie zu beschützen (insbesondere die kleine Schwester). Sie ist diejenige, die Mutter und Schwester versorgt. Der Standpunkt bezieht sich auf die Art und Weise, wie die Figur die Welt sieht. Katniss denkt, dass sie immer alles alleine machen muss und von der Welt nichts erwarten darf. Prinzipiell fällt es ihr schwer, Hilfe von anderen Menschen anzunehmen. Der dritte Punkt ist die Veränderung, also wie sich die Figur im Lauf der Handlung entwickelt. Katniss fängt an, anderen Menschen zu vertrauen, zum Beispiel Rue oder Peeta Mellark, und lässt es zu, dass diese sie unterstützen. Das letzte Merkmal ist die Haltung. Diese ist vor allem dafür da, der Figur Tiefe zu verleihen. Ist die Haltung der Protagonisten positiv oder negativ, überlegen oder unterlegen, kritisch oder naiv? Bei Katniss kann man anführen, dass ihre Haltung auf ein allgemeines Misstrauen hinausläuft. Trotzdem ist sie auch fürsorglich und tendiert dazu, anderen zu helfen. Katniss ist eine Beschützerin.

Fazit: Je konstruierter und logischer eine Figur aufgebaut ist, desto besser können wir sie verstehen und uns mit ihr identifizieren. Tiefe macht den Protagonisten spannender. Einem konkreten Ziel können konkret Steine in den Weg gelegt werden und damit wird bereits Handlung geschaffen. Es hängt also alles irgendwie zusammen und läuft dennoch immer auf dasselbe hinaus: Die Story eines Filmes muss überlegt sein. Und dabei spielt Struktur die größte Rolle. Oder fällt euch irgendein richtig guter Film ein, auf den diese ganzen Merkmale nicht zutreffen?

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